Indirekt & respektvoll

Wie kultursensible Sprache in der Beratung auf Englisch wirkt

Als Beraterin, Therapeut oder Coach kennen Sie vielleicht die Herausforderung, Impulse sensibel auf Englisch zu setzen. Was im Deutschen recht einfach klingt, kann im Englischen zum Drahtseilakt werden. Denn es geht nicht nur darum, eine Sachbotschaft zu vermitteln – Sie möchten ermutigen und einladen, neue Perspektiven eröffnen und die Handlungsbereitschaft Ihrer KlientInnen stärken. 

Während dies im Deutschen oft sachlich, klar und „straight to the point“ geschieht, wird in anderen Kulturen die indirekte Kommunikation bevorzugt. Sie ist behutsam, raumgebend und betont den Respekt für die andere Person. In meinen Workshops spreche ich gerne von einem „vorsichtigen Herantasten“. 

Warum ist das wichtig?💡

Weil Sie mit einer geradlinigen Botschaft womöglich Ihr Ziel nicht erreichen. Die Wirkung: Ihr Impuls kann sich nicht entfalten und erzeugt Irritation, Rückzug oder Widerstand. 

Doch wie kann die indirekte Kommunikation auf Englisch gelingen? Im Folgenden finden Sie typische deutsche Sprachmuster – und sanfte, kultursensible Alternativen, die einladen, Raum lassen und Respekt ausdrücken. Für eine feinfühlige Kommunikation in Ihrer englischsprachigen Praxis.

You can… You could…

Direkte Sprache

  • „You can work on that outside the session.“
  • „You can try this.“


Klingt erst einmal harmlos, oder? Im Deutschen gehören solche Formulierungen zur natürlichen Alltagssprache; sie sind klar, nüchtern und fokussiert. Auf Englisch jedoch kann „you can do…“ schnell als Erwartung oder Aufforderung verstanden werden. Es fehlt der einladende Charakter.


Wie können Sie die obigen Beispiele in indirekte Botschaften verwandeln? Hier sind einige Ideen.

Sanfte Alternativen

💬„You can work on that outside the session.“

👉 „Feel free to have a look at the material when you have a chance.“

Spüren Sie die Energie, die hier mitschwingt? „Feel free“ hebt die Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit der Klientin hervor. Die Ergänzung am Ende des Satzes – „when you have a chance“ – nimmt bewusst den zeitlichen Druck. Die Klientin darf selbst entscheiden, wann sie sich mit dem Material beschäftigt.

💬„You can try it.“
👉„Do you think this may be an option?“
Der Unterschied ist hier deutlich. „You can try it“ wirkt nüchtern und direktiv; die neue Formulierung verwendet gleich mehrere Weichmacher:

  • „Do you think…“
  • „may be“ und 
  • „option“.

Sie alle betonen die Offenheit des Sprechers und unterstreichen den einladenden Charakter der Frage. 


I recommend …

Direkte Sprache

  • „I would recommend a different approach.“ (approach = Ansatz, Herangehensweise)
  • „I recommend writing things down between sessions to help organise your thoughts.“


Wenn ich „recommend“ höre, denke ich an einen Experten. Ein Hauch von Autorität schwingt hier mit. Benutzen Sie „recommend“ am besten, wenn Sie direkt um Rat gefragt werden oder wertvolles Fachwissen weitergeben möchten, z. B. im Rahmen einer Psychoedukation. Für viele andere Situationen sind indirekte Botschaften geeigneter.

Sanfte Alternativen

💬„I would recommend a different approach.“

👉„Have you thought about trying a different approach?“ 

Die Klientin erhält einen sanften Impuls, um neue Möglichkeiten zu erkunden.

Etwas direkter könnten Sie auch sagen:
👉„I am wondering if you’d be open to a different approach.“ (I am wondering = ich frage mich)

Klingt weicher und offener als das Original mit „recommend“, oder? „I am wondering“ ist ein wunderbarer Satzanfang, der Ihre KlientInnen einlädt und abholt. Der Impuls ist behutsam und die Anregung wird zunächst nur angedeutet.

💬„I recommend writing things down between sessions to help organise your thoughts.“
👉 „What usually helps you organise your thoughts when things feel a bit much?“
Eine offene Frage, die die Klientin ermutigt, eigene Stärken und Erfahrungen zu aktivieren.

Oder etwas direkter:
👉„Some people find it useful to write things down between sessions to organise their thoughts.“
Statt die eigene Expertise in den Vordergrund zu stellen, sprechen Sie von Menschen, denen das Aufschreiben schon hilft. „Some“ agiert hier als Weichmacher und fördert Offenheit. Die Idee beansprucht keinen Vorrang für sich. Sie nehmen der Klientin damit den Druck, der Idee zu folgen.

It’s better to…

Direkte Sprache

  • „It’s perhaps better to deal with the issue now than wait until it gets worse.“
  • „It’s better to take a break from time to time.“


Was im Deutschen nach einer simplen Ermutigung klingt, wirkt im Englischen eher forsch und ungeschickt. Sätze mit „It’s better to…“ implizieren, dass es den einen richtigen Weg gibt. Wenn die genannte Sache besser ist, bedeutet dies umgekehrt auch, dass der vorher beschrittene Weg ein Fehler war.
Abgeschwächte Varianten wie „Perhaps it’s better to…” mögen vorsichtiger klingen, vermitteln aber oft eine ähnliche Botschaft: „Das wäre der klügere Weg.“

Hier sind einige Ideen für sensiblere Formulierungen.

Sanfte Alternativen

💬„It’s perhaps better to deal with the issue now than wait until it gets worse.“
👉 „I am wondering if it might be worth looking at this issue first.“
Sie starten mit einer Ich-Botschaft „I am wondering“ und laden dann zum Betrachten und Abwägen ein. Fällt es Ihnen auf? „It might be worth“ klingt nicht nach lästiger Problembeseitigung, sondern nach einer Belohnung am Ende des Prozesses. Mit „looking at this issue“ unterstreichen Sie, dass es um einen ersten Schritt in der Sache geht. Dies nimmt der Klientin den Druck und sorgt für eine behutsame Annäherung an das Thema.

💬„It’s better to take a break from time to time.“
👉„Some people find it helpful to take a step back now and then – how would that feel for you?“
Sie erwähnen die Erfahrung anderer Menschen und laden die Klientin zur gemeinsamen Erkundung ein. Behutsamkeit zeigt sich auch in der vageren Formulierung „to take a step back“ anstelle von „break“. Sie bringen vorsichtig eine Idee ein, öffnen aber gleichzeitig den Raum für weitere Möglichkeiten.

Fazit: Mit kleinen Impulsen viel bewirken

Was im Deutschen oft funktioniert, kann im Englischen schnell forsch und ungeschickt wirken – wie ein ungebetener Schritt über eine unsichtbare Linie.

Die gute Nachricht: Es braucht oft nur kleine sprachliche Veränderungen, um Ihre Botschaft einladender und offener klingen zu lassen.

Und wenn es doch nicht so rund klingt? Alles halb so schlimm. Jede neu gewonnene Formulierung ist ein Schritt auf Ihrer ganz persönlichen Sprachreise. Probieren Sie sich aus und integrieren Sie die ein oder andere sanfte Formulierung in Ihre Gespräche.

Zur Inspiration habe ich Ihnen einen Quick Guide zusammengestellt. Laden Sie ihn herunter und schauen Sie drauf, wenn Sie Ihr Repertoire erweitern möchten.

Wie ist es bei Ihnen? Welche Impulse geben Sie Ihren KlientInnen – und wie klingen sie auf Englisch? Probieren Sie doch einmal aus, wie sich Ihre Lieblingsformulierungen in noch sanftere Varianten übertragen lassen – für mehr Verbindung und sprachliche Feinfühligkeit.🪄

Nadine Seiler, März 2025

Quick Guide: Sanfte Impulse in der Beratung auf Englisch

Kultursensibel kommunizieren im psychosozialen Gespräch – 
Respekt vermitteln, einladen und Raum geben.

Der Workshop: Psychosoziale Beratung auf Englisch

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Nadine Seiler bietet Sprachkurse für psychosoziale und psychologische Berater und Coaches an.

Nadine Seiler

Ich bin Sprachtrainerin für die psychosoziale Beratung auf Englisch sowie Herausgeberin und Autorin von Sprachführern zur professionellen Beratung auf Englisch, u.a. "Helfende Gespräche auf Englisch. Der umfassende Sprachführer für psychosoziale und pädagogische Arbeitsfelder".